Die Aufgabenstellung

Das erste Halbjahr der 11. Jahrgangsstufe an bayerischen Gymnasien behandelt in Deutsch häufig den Themenkomplex Aufklärung und Sturm und Drang, also zwei Epochen, die vor allem aus literarischer Sicht ein tiefgreifendes Beziehungsgefüge aufweisen. Auf der einen Seite fallen sofort gravierende Gegensätze auf, etwa die Verabsolutierung der Vernunftlenkung in der Aufklärung im Unterschied zu Geniekonzeption, Emotionalität und Freiheitsstreben im Sturm und Drang. Andererseits ist es aber unmöglich, diese beiden Strömungen, die auch noch weitgehend zeitlich parallel verlaufen, klar voneinander zu trennen, denn immer wieder sind Verzahnungen zu erkennen, personell wie motivgeschichtlich. Von Interesse ist gerade in dieser Beziehung, dass Werther in der Nacht, da er sich schließlich in den Freitod flüchtet, offenkundig in Lessings Emilia Galotti gelesen hat, denn das Buch liegt aufgeschlagen auf seinem Tisch. Dieses Drama Lessings hatten wir als erste Ganzschrift und als Werk der Aufklärung unmittelbar zu Beginn des ersten Halbjahres 2004/05 gelesen und besprochen. Gegenübergestellt werden sollte diesem nun der Briefroman "Die Leiden des jungen Werther". Sowohl in der formalen Konzeption (Drama - Briefroman) wie auch in Sprache, Stil und geistesgeschichtlichem Hintergrund deutliche Gegensätze, war doch ein noch hintergründigeres Beziehungsgeflecht neben der aufgeschlagenen Emilia Galotti zu erkennen. So entpuppte sich etwa Albert, der spätere Ehemann Lottes, bereits früh als Verfechter der Ideen der Aufklärung. Vollends deutlich wird das schließlich, als er mit Werther über Sinn und Unsinn des Selbstmordes diskutiert. Mein Ziel war es letztendlich, die eingehenden Kenntnisse, die sich jeder Schüler in der Behandlung des Stoffes, zusätzlich bedingt durch die Verwendung des Romans als Grundlage für die zweite Schulaufgabe, erworben hatte, am Ende des Halbjahres noch auf andere Weise zu nutzen. Problematisch wurde dabei lediglich die zeitliche Konzeption, da Lektüre, Besprechung, Schulaufgabe und das Werther-Projekt unter einen Hut zu bringen waren. Im einzelnen sah die Planung folgendermaßen aus:
  • Beginn der Besprechung des "Werther", thematisch vorerst nach Schulaufgabenrelevanz geordnet, ab dem 01.12.2004
  • Schulaufgabe: Literarische Erörterung am 21.12.2004
  • Aufgabenstellung für den Verlauf des Projekts vor den Weihnachtsferien
  • eine Planungsstunde (siehe dort) unmittelbar nach den Weihnachtsferien
  • weitere Besprechung des "Werther", währenddessen Fertigstellung der Ausarbeitungen der Gruppenbeiträge zum Projekt
  • Einscannen und Ausdruck der Schülerarbeiten durch den Kunstlehrer Gerolf Brand. Dafür an dieser und anderer Stelle Herzlichen Dank!
  • Behandlung des Lehrplanbereichs Film und Fernsehen mit besonderem Augenmerk auf Literaturverfilmungen am Beispiel der "Werther"-Verfilmung der Defa (DDR, 1976)
  • dazu hatten jeweils vier Schüler die gleichen Beobachtungsaufträge, so konnte während der Vorführung des Films, die sich über drei Schulstunden erstreckte, der Zusammenbau der Projektarbeiten erfolgen
  • Fertigstellung beinahe aller Arbeiten bis zum Notenschluss Zwischenzeugnis, Präsentation durch die jeweiligen Gruppen und Anbringen im Klassenzimmer (siehe Tour)

Die Aufgabenstellung konkret:

Zu Beginn des Schuljahres fielen mir die unter der Decke des sehr hohen Klassenraumes angebrachten Styroportafeln auf, jeweils in der Größe 1,25x1,25m, die zu der Zeit noch mit Kunstarbeiten der Klasse aus der 9. Jahrgangsstufe bedeckt waren. Als diese Bilder während des Halbjahres entfernt wurden, begann ich mir Gedanken über eine Neugestaltung zu machen und hielt diesbzüglich Rücksprache mit dem Kunstlehrer. Bereits am Anfang der Lektüre des "Werther" erhielen die Schülerinnen und Schüler den Auftrag, besonders prägnante oder eindrucksvolle Textstellen im Hinblick auf eine spätere graphische Gestaltung gesondert zu markieren. Zwischen der Schulaufgabe und den Weihnachtsferien wurde dieser Auftrag weiter konkretisiert. Zweiergruppen wurden aus den jeweiligen Banknachbarn gebildet mit der Aufgabe, sich über die Ferien bzw. unmittelbar danach auf eine Textstelle oder ein Zitat zu einigen und Vorschläge zur bildlichen Umsetzung zu erarbeiten. Dieser letzte Punkt war sehr frei formuliert um Vorgaben der Gestaltungsmittel zu vermeiden, die die Kreativität einschränken könnten. Es waren demnach Collagen ebenso möglich wie unterschiedliche Zeichen- und Maltechniken und letztlich auch die Bearbeitung mit dem Computer.

Verlangt war also von den Gruppen:

  • Auswahl einer eindrucksvollen und aussagekräftigen Textstelle
  • Entwicklung eines Entwurfs zur Visualisierung
  • Ausarbeitung in einer plakativen Form, die der späteren Vergrößerung und Ausstellung Rechnung trägt